Sich einsam zu fühlen, kann belastend sein und sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Die gute Nachricht: Oft reichen kleine Schritte, um der Einsamkeitsdynamik zu entkommen.

Da ist die ältere Dame, die erst kürzlich in die Stadt gezogen ist, um in der Nähe ihres Sohnes zu wohnen. Sie kennt hier kaum jemanden. Oder die junge Frau aus Lateinamerika, die gerade dabei ist, Deutsch zu lernen. Und der Mann, der seinen Job und damit auch eine Reihe seiner sozialen Kontakte verloren hat. Sie alle eint: Sie fühlen sich einsam – und sie haben einen Schritt gesetzt, um wieder mehr unter Leute zu kommen. Im „offenen Wohnzimmer“ in Wiener Neustadt, einer Initiative der Caritas, haben sie einen Ort gefunden, an dem sie andere treffen, an Aktivitäten teilnehmen und einander unterstützen können. „Das offene Wohnzimmer gibt es seit einem Jahr. Mittlerweile waren uns schon rund tausend Menschen besuchen“, erzählt Birgit Gumpinger-Prieler, die das Projekt leitet. „Die Leute, die zum ersten Mal kommen, sind anfangs oft zögerlich und zurückhaltend. Nach ein oder zwei Besuchen öffnen sie sich, und viele bringen sich und ihre Talente ein.“


Fast jeder betroffen

Gemeinsame Stadtführungen, Kuchen essen und Kaffee trinken, Unterstützung bei organisatorischen Angelegenheiten: Im offenen Wohnzimmer treffen einander Menschen jeden Alters, zwanglos und niederschwellig. Und sie reden mitunter ganz offen über ihre Einsamkeit. „Bei uns wird niemand gefragt, warum er kommt“, sagt Gumpinger-
Prieler, „viele sprechen es aber irgendwann von selbst an. Sie erzählen, dass sie niemanden haben, mit dem sie sich austauschen können oder dass sie sich an anderen Orten nicht willkommen fühlen.“ Es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen offen sagen, wie einsam sie sich fühlen. Einsamkeit gilt als gesellschaftliches Tabu. In einer Welt, in der Extrovertiertheit, Geselligkeit und Vernetzung hohe Werte sind, fällt es schwer zuzugeben, dass man einsam ist. Dabei ist fast jeder in bestimmten Phasen des Lebens davon betroffen. „Einsamkeit gehört zum Leben dazu“, sagt Mareike Ernst,
Psychologin an der Universität Klagenfurt. „Es handelt sich nicht um eine psychische Erkrankung, sondern um ein normales menschliches Gefühl.“


Isoliert nach Geburt des Kindes

Einsamkeit entsteht in unterschiedlichen Situationen. Sie kann durch Ereignisse wie einen Jobverlust oder eine Krankheit begünstigt werden. Auch Menschen mit Migrationshintergrund, die sich in einer fremden Kultur und Sprache zurechtfinden müssen, sind davon betroffen. Selbst freudige Ereignisse wie die Geburt eines Kindes können Einsamkeitserfahrungen mit sich bringen. Viele Mütter, die mit einem Baby zu Hause sind, fühlen sich von der Welt abgeschnitten und klagen über Isolation. Darüber hinaus gibt es zwei besonders betroffene Risikogruppen, sagt Mareike Ernst: alte Menschen und junge Erwachsene. Zwar leide nicht jeder im Alter an Einsamkeit, das Risiko dafür steige aber mit dem Älterwerden, sagt die Psychologin. „Ältere Menschen sind besonders betroffen, weil sich in ihrem Leben Verlusterlebnisse wie Krankheiten oder der Tod von Angehörigen häufen. Junge Erwachsene zwischen 18 und 29 hingegen befinden sich häufig in einer Findungsphase. Anders als früher ist es heute üblicher, in dieser Phase den Job zu wechseln und mehrere Partnerschaften zu beginnen und wieder zu beenden. Das kann Einsamkeit verstärken.“


Allein oder einsam?

Aber auch äußere Faktoren wie Geld oder Zeit spielen eine große Rolle. Menschen mit finanziellen Sorgen tun sich eher schwer, abends mit anderen etwas trinken zu gehen. Wer wenig Zeit hat – zum Beispiel, weil er mit der Pflege eines Angehörigen beschäftigt oder alleinerziehend ist –, fühlt sich ebenfalls schneller isoliert. Unabhängig von den Ursachen: Einsamkeit ist ein unangenehmes Gefühl. Darin liegt der Unterschied zum bloßen Alleinsein. Dieses wird nicht notwendigerweise negativ erlebt. Allein zu leben, den Abend ohne Gesellschaft zu Hause zu verbringen, sich mit einem Buch allein ins Café zu setzen: All das kann für Menschen beglückend sein. Etwa wenn sie eher introvertiert oder wenn sie aufgrund eines herausfordernden Berufes oder von Lebensumständen froh über Zeit allein sind. Sobald allerdings eine Diskrepanz zwischen den tatsächlichen sozialen Kontakten und den erwünschten besteht, entsteht Einsamkeit. Die kann es auch geben, wenn man eigentlich von vielen Menschen umgeben ist. Dann, wenn es niemanden gibt, von dem man sich verstanden fühlt oder wenn Beziehungen oberflächlich bleiben.


Neues Hobby oder Ehrenamt?

Auch wenn es nicht angenehm ist, sich einsam zu fühlen, es handelt sich um ein wichtiges Gefühl. „Man kann Einsamkeit ähnlich wie Hunger oder Durst zuerst einmal als wertvolles Signal wahrnehmen“, sagt Mareike Ernst. „Es vermittelt uns, dass uns etwas fehlt und dass wir uns wieder um unsere Beziehungen kümmern sollen.“ Den meisten Menschen gelinge das auch bei anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut, kaum jemand bleibe sein Leben lang einsam. „Wenn jemand aber chronisch einsam ist, kann das psychische und physische Auswirkungen haben.“ Körper und Psyche befinden sich dann in einer Stresssituation – und andauernder Stress ist schädlich. Umso wichtiger ist es, Schritte zu setzen, um der negativen Dynamik entgegenzuwirken. Das können Kleinig­keiten sein, wie einer Freundin wieder einmal eine Nachricht zu schreiben oder mit dem Nachbarn ein Gespräch zu beginnen. „Man kann ein neues Hobby oder ein Ehrenamt starten“, schlägt Mareike Ernst vor.


Plattform gegen Einsamkeit

Wer Ideen sucht, um unter Leute zu kommen, kann sich auch auf der Homepage der „Plattform gegen Einsamkeit“ schlau machen. Dort findet man unterschiedliche Angebote, bei denen das Mit­einander im Mittelpunkt steht. „Je nach Zielgruppe wählen diese Angebote einen anderen Zugang“, sagt Katrin Weber, Projektleiterin der Plattform. Von der Nachbarschaftshilfe, über den Begleitdienst beim Einkaufen und Veranstaltungen im Grätzl bis zur Einzelberatung ist alles dabei. „Nicht alle Angebote tragen das Label ‚gegen Einsamkeit‘. Das ist sinnvoll“, sagt Weber. „Gesellschaftlich ist es wichtig, über das Thema zu sprechen und es zu enttabuisieren. Wir wollen für Einsamkeit und die damit einhergehenden Probleme sensibilisieren. Bei den Veranstaltungen muss es aber nicht explizit angesprochen werden.“ Beim offenen Wohnzimmer in Wiener Neustadt kommt der Begriff „Einsamkeit“ auch nicht vor. Das würde die Menschen wohl eher abschrecken, sagt Projektleiterin Birgit Gumpinger-Prieler. Vernetzung, gegenseitige Unterstützung und ein Miteinander bei Kaffee und Kuchen stellen sich auch so ein.


Text: Sandra Lobnig ⎪ Foto: © iStock_PEOPLEIMAGES


 

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